In den Bergen gibts Steinböcke – und Sündenböcke. Die heissen Mountainbiker. | Ride MTB

In den Bergen gibts Steinböcke – und Sündenböcke. Die heissen Mountainbiker.

Trails abkürzen ist ein Tabu, keine Frage. Aber: Wanderer kürzen seit Jahr und Tag ab – folgenlos. Wenn zwei das Gleich tun, ist das noch längst dich dasselbe.

Im September 2016 hat Balz Weber auf Ride.ch einen Blog-Beitrag veröffentlicht mit dem Aufruf, auf Singletrails mit dem Bike nicht abzukürzen. Flurschäden seien die Folge, und solches Verhalten sei ein Steilpass für Forderungen nach Bike-Verboten. Stimmt! Und dann habe ich mich an meine Kindheit zurückerinnert. An die Wanderungen mit den Eltern, und wie wir damals Wegabkürzungen runtermarschiert sind. Wo Wege im Zickzack durchs Gelände führten, da gab es damals fast immer auch eine Abkürzung. Was bei den Wanderern einst eine Normalität war, ist nun bei den Mountainbikern ein Skandal. Ganz nach den alten Römern: Quod licet lovi, non licet bovi. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe.
 
Die Abkürzungsfrage ist nicht die einzige Polemik, wo Mountainbiker zum Sündenbock werden. Weidezäune sind ein anderes Beispiel. Hört man Bergbauern zu, entsteht der Eindruck, dass hinter jedem offenen Weidezaun ein Mountainbiker steckt. Wieso denn bloss? Hat jemand schon mal all die Mountainbiker gesehen, die Weidezäune offen lassen? Ich nicht. Im Gegenteil. Ich kenne keinen einzigen Mountainbiker, der den Elektrozaun hinter sich nicht wieder einhängt. Es gibt für Biker keinen Grund, dies nicht zu tun – absteigen musste man zur Öffnung des Gatters ja ohnehin. Und trotzdem ist die Mär nicht aus der Welt zu schaffen, dass Mountainbiker Zaundurchgänge offen lassen.
 
Ein anderes Beispiel gefällig? Es geht um tote Schafe. Vor Jahren ist Roland Thöni am Stilfserjoch auf mich los wie eine Furie. Thöni war einst einer der besten Slalomfahrer der Welt, heute züchtet er Schafe. Und ein solches sei kürzlich tödlich abgestürzt, sagte er damals. Schuld daran seien wir Mountainbiker. Er habe den Vorfall zwar nicht beobachtet, aber die Sache sei doch klar. Doch das müsste auch Thöni wissen: Schafe sind im Hochgebirge auch schon abgestürzt, also noch keine Mountainbiker über den Goldsee-Trail fuhren. Bloss war damals kein Schuldiger zur Hand.
 
Zurück zu den Trail-Abkürzungen. Man kann bei der Lektüre der Meldung von Balz Weber durchaus den Eindruck erhalten, dass Mountainbiker dank dicken Reifen und üppig Federweg unterdessen jeweils in der Straightline von den Bergen donnern. Meine Erfahrung ist eine andere: Ich kenne kaum eine umsichtigere und vorbildlichere Gruppierung in den Alpen als die Mountainbiker – regelmässig ausgebremst durch ein paar unverzeihliche schwarze Schafe. Die Kommentare zu Balz Webers Meldung beweisen es: Die Mountainbiker machen sich ernsthaft Gedanken über ihr Verhalten und jenes ihrer Trail-Genossen. Mountainbiker sind keine Halbschlauen, die rücksichtslos durch die Alpen brettern. Und trotzdem werden wir die Rolle des alpinen Sündenbocks nicht los. Dabei wären doch Böcke eigentlich eine gern gesehene Spezie in den Bergen. Jedenfalls die Steinböcke.
 


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