Test: SQlab 611 Ergowave Active – ein echter Problemlöser oder nur leere Versprechungen?
Die SQlab-Sättel sind gespickt mit innovativen Lösungen welche die Sitzergonomie markant verbessern. Das ganze basiert auf der Vermessung der Sitzknochen, je nach Abstand und Sitzhaltung auf dem Rad (von Touring bis Race) wird mittels Anleitung die passende Sattelbreite ermittelt. Diese variieren von 12 bis 15 Zentimeter.
Bei den Stufensättel von SQlab liegt die Sattelnase deutlich tiefer als das Heck, dass ergibt so mehr Halt nach hinten und sorgt für eine effizientere Kraftübertragung – also «mehrbums».
Die sich vom Heck nach vorne erstreckende wellenförmige Erhebung der Ergowave passt in ihrer Form perfekt zu den meist bauchigen Sitzbeinästen. Das soll Kräfte sparen, womit auch mehr Energie für’s treten frei ist. Dazu kommt die hauseigene Active-Satteltechnologie welche ermöglicht, dass sich das Becken bis sieben Grad bewegen kann. So werden die Bandscheiben entlastet und der Komfort an den Sitzknochen erhöht. Der Flex kann über drei unterschiedliche Elastomer-Einsätze gesteuert werden. Mit dem S-Tube-Gestänge wiegt der Sattel rund 220 Gramm. Damit ist er kein Leichtgewicht, angesichts der technischen Details aber ganz in Ordnung. Die Version mit den Carbon-Rails ist rund 25 Gramm leichter.
Wer mehr Informationen zu den unterschiedlichen Funktionen und deren Einfluss auf die Ergonomie haben möchte, findet auf der Website von SQlab viel Lesestoff, wir beschränken uns hier auf die wesentlichsten.
Der Fall «Sacha»
Wie macht sich so viel Theorie in der Praxis bemerkbar? Selten war ich so gespannt auf einen Test wie auf diesen. Mein Rücken kann auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken, über zehn Jahre Therapie wegen Wachstumsstörungen (Morbus Scheuermann), einer krummen Wirbelsäule infolge Beckenschieflage und vor drei Jahren kam dann eine schwere Diskushernie mit Lähmungserscheinungen dazu. Seither gehen Biken und Rückenschmerzen einher. Regelmässig musste ich pausieren, bis sich die Bandscheiben wieder erholt hatten. Aber deswegen das Hobby aufgeben? Ganz sicher nicht!
Mit der mitgelieferten Messplatte vermass ich meine Sitzknochen selbst und schraubte dann den passenden Sattel ans Bike. Auch wenn man mit Versprechen wie «beschwerdefrei» doer «mehr Kraft» vorsichtig ist, startete mit grossen Erwartungen in ein Bike-Wochenende mit zwei langen Tagestouren. In der ersten Stunde wollte ich den Sattel fast wieder abschrauben. Er drückte und der Hintern schmerzte. Immer wieder musste die Sattelneigung angepasst werden. Denn diese ist essentiell, schon ein paar Grad entscheiden über Komfort oder Qual. Je nach Negativfederweg des Bikes verhält sich die Sitzposition anders und muss somit bei jedem Bike individuell feinjustiert werden. Irgendwann passt es und die Sitzknochen gewöhnen sich allmählich an das eher harte Polster und die neue Position. Erst nach einigen Ausfahrten wurde mir bewusst, dass ich nach dem Biken kaum mehr Beschwerden mit dem Rücken hatte. Das grosse Aha-Erlebnis kam aber, als ich das erste Mal wieder auf einem «normalen» Sattel sass. Das Modell welches bisher mein Favorit war, erschien mir auf einmal total unbequem, und ich kam nicht mehr damit klar. Um etwas vorzugreifen, der Test endete für mich damit, dass ich meine gesamte Bike-Flotte auf SQlab umrüstete.
«Leichteres» Fahren
Der entscheidende Punkt ist, dass die erhöhte Sitzposition der Höcker den Rücken ganz leicht in ein hohles Kreuz biegt, was eine äusserst stabile Sitzposition bewirkt und man dadurch die Rumpfmuskulatur entlastet. Die Energie, welche man sonst für das stabilisieren des Oberkörper benötigt, hat man dann für das Treten frei und das meint SQlab mit «mehrbums» in den Beinen. Auf einmal kommt man die sonst so kräftezerrende, steile Rampe viel besser hoch und die Beine drehen gefühlt leichter als gewohnt. Ein weiterer Vorteil der guten Sattel-Ergonomie ist, dass man als Mann kaum mehr Beschwerden hat, dass einem die Weichteile «einschlafen».
Die «Active» Funktion des Sattels macht sich nur leicht bemerkbar. Zeitweise bin ich einen 611er Ergowave-Sattel ohne Active-System gefahren. Erst dann fiel mir auf, dass sich dieser einiges statischer anfüllt.
Weitere Vorteile die der Sattel bietet, sind die breite Nase, die eine angenehme Sitzposition ermöglicht, wenn bei steilen Anstiegen das Gewicht nach vorne verlagert wird. Auch gefällt das leicht abgerundete Heck des Sattels, das vermeidet, dass man mit weiten Bike-Hosen einhängt oder sich bei haarigen Fahrmanövern an der Sattelkante die Oberschenkel blau schlägt. Das Obermaterial ist von angenehmer Beschaffenheit und man rutscht nicht darauf rum.
Selbst nach den neun Monaten Dauertest – bei allen erdenklichen Wettbedingungen – hat der Sattel nur leichte, kosmetische Abnutzungen zu verzeichnen. Das Obermaterial lässt sich zudem gut reinigen. Den einen oder anderen Ausrutscher hat er locker weggesteckt, dazu tragen auch die Kevlar-Verstärkungen auf der Seite bei. Was die unterschiedlichen Elastomere betrifft, ich habe in den ersten Wochen einiges damit herumgespielt, bin am Ende aber komplett ohne gefahren. Das ist gemäss Hersteller auch kein Proble,m und da soll jeder Fahrer selbst entscheiden was ihm zusagt.
Am Gesäss von Balz
Auch wenn ich körperlich nicht derart geplagt bin wie Sacha, auch ich wollte dem Komfort-Versprechen auf den Grund gehen, obwohl ich meinen Lieblingssattel hatte. Mein Gesäss fiel etwas breiter aus und so wurde mir für die aufrechte Enduro-Sitzposition der 611er in 15er-Breite empfohlen. Diese war bergab nicht nur von Vorteil, denn am ersten Enduro-Rennen das ich fuhr, blieb ich während des Trainings immer wieder mal an dessen breiter Heckpartie hängen. Das Umgewöhnen dauerte einige Ausfahrten, und das hängenbleiben ist heute kein Thema mehr.
Auf den ersten Kilometern berghoch begannen die tiefsitzenden Muskeln in Rücken und Gesäss plötzlich zu ziehen. Wegen der neuen Position erachtete ich das als normal und tatsächlich legte sich das ein paar Ausfahrten später.
Zurück zum Renntraining: Ich hatte dort einen Sturz, bei welchem das Carbon-Sattelgestell brach. Mein alter Lieblingssattel kam wieder zum Einsatz, und da war ich ziemlich verblüfft, als mir der gar nicht mehr bequem war – bloss nach einem Trainingstag auf dem SQlab-611-Sattel.
Die Ergowave begleitet mich nun ein Jahr auf Bike-Touren und Enduro-Rennen. Die Erfahrungen die Sacha damit machte, decken sich fast eins zu eins mit meinen, obwohl wir zwei grundverschiedene Fahrertypen sind. Wenn auch weniger als zuvor, das Taubheitsgefühl im Genitalbereich kommt hin- und wieder, allerdings auch nie so ausgeprägt wie vor dem 611er.
Über das Active-System kann ich hingegen gar nichts berichten. Nach dem Sattelbruch bin ich auf einen 611er mit S-Tube-Gestell umgestiegen, der ohne dieses System auskommt und daher auch gut 30 Gramm leichter ist. Auch dieser Sattel musste einige Abflüge einstecken, doch blieben Sattelhaut und Gestell jeweils unversehrt. Der letzte Einschlag war dann doch etwas zu viel für das Gestell. Dass es hingegen nur leicht verzogen, und nicht komplett verbogen ist, überrascht mich positiv. Trotz der minimalen Deformierung ersetze ich den Sattel, denn Rückenbeschwerden wegen des Niveauunterschieds möchte ich nicht in Kauf nehmen. Es wird aber sicher wieder das gleiche Modell werden, so viel steht fest.
Fazit
Der «611 Ergowave» von SQlab ist ein komplexes Zusammenspiel von zahlreichen Details, die am Ende bewirken, dass man nicht nur effizienter treten kann, sondern wie in Sachas Fall sogar fast keine Rückenbeschwerden mehr ertragen muss. Das gilt für den 611er ohne, aber noch viel mehr für derjenige mit Active-System. Die optimale Sattelposition zu finden, benötigt etwas Zeit während den ersten Ausfahrten. Der 611 Ergowave ist ein sehr empfehlenswerter Sattel, der für manche Problemchen die Lösung sein kann. Nachteile, ausser dem, dass das Carbon-Gestell vielleicht eher für den Cross-Country- und Marathon, aber weniger für den Enduro-Einsatz taugt, gibt es keine.
www.sq-lab.com