Von Drais: Schweizer Fachhändler versuchen sich als Bike-Produzenten
Ein Gravel Bike – das Vermont – wird das erste Velo sein, das die neue Marke Von Drais auf den Markt bringt. Im April soll es soweit sein, sagt Harry Ramsauer, einer der Menschen hinter dem neuen Brand.
Doch wieso bringt jemand in der aktuellen Situation eines übersättigten Fahrradmarkts noch ein weiteres Produkt in den Handel?
Für die zwölf Fachhändler hinter dem neuen Brand ist die Zeit genau richtig für ihre neue Marke. Sie hätten noch immer Kunden in ihren Geschäften, die nicht auf dem Netz nach dem tiefsten Preis suchen, sondern sich beraten lassen und den Preis dafür bezahlen, argumentiert Harry Ramsauer. Ihnen böten sie ein hochwertiges und zugleich preiswertes Velo, hinter dem jene Schweizer Fachhändler stehen, die es auch in ihren Geschäften verkaufen. Als Käufer hat man den Hersteller also direkt vor sich.
Ein Carbon Graveler für 3500 Franken
An der Präsentation im Technorama Winterthur stellen die Initianten noch einen Prototypen zur Schau, der nicht der Endversion entspreche. So viel können sie bestätigen: Das Vermont wird einen Carbonrahmen haben, einen Radsatz mit DT Swiss Naben und Carbon-Felgen und eine Shimano GRX-12-Gang-Schaltung. Kosten werde es rund 3500 Franken. Später werde eine Alu-Version dazu kommen.
Die ersten 80 Exemplare befinden sich zurzeit in Produktion und sollen auf Anfang Saison in die Fachgeschäfte kommen. Nur Aktionäre des für die Produktion gegründeten Unternehmens Swiss Bike Concept werden Von Drais Bikes verkaufen können. Ramsauer und seine Kollegen suchen zurzeit weitere Fachhändler, die als Aktionäre einsteigen. Etwa 50 erachtet er als ideal, das Interesse sei vorhanden.
Die Aktionäre sind nicht bloss Besitzer des Unternehmens, sie gestalten das Velo gemeinsam. Den Carbon-Rahmen haben sie aus der Fülle der in den asiatischen Fabriken verfügbaren Modelle ausgesucht, den Rest vom Vorbau bis zum Ausfallende zusammengestellt. Ein besonders Design-affiner Mitbesitzer habe Farbvorschläge gemacht, aus denen sie zwei ausgewählt hätten. Die Rahmen werden in China hergestellt, montiert wird in Vietnam. Mittelfristiges Ziel sei aber die Velos in Europa zu produzieren, betont Ramsauer.
Keine Überproduktion, keine Jahrgangsmodelle, kein Zwischenhandel
Die Fachhändler – alle besitzen die all-ride-Zertifizierung von 2rad Schweiz – wollen mit ihrer eigenen Marke die Probleme lösen, mit denen sie am Ende der Wertschöpfungskette seit je her kämpfen. Sie produzieren genau die Velos, die ihre Kunden wünschen. Sie lassen so viele herstellen, wie sie verkaufen können, sodass keine Überproduktion anfällt, die zur aktuellen Rabattschlacht geführt hat. Dazu gehört auch, dass es von Von Drais keine Jahrgangsmodelle geben wird. Diese sind ein weiteres Problem für die Händler. Denn schon im August fallen die Preise, entwerten so die bereits verkauften und erst recht, die noch nicht verkauften Bikes des laufenden Jahres. «Wir kommen erst mit einem neuen Modell, wenn das alte abverkauft ist – wie das die Autoindustrie schon immer macht», erklärt Ramsauer.
Und noch wichtiger: Für die Fachhändler entfällt der Zwischenhandel, da sie selber produzieren und montieren lassen. Ein Teil der Marge müsse bei Swiss Bike Concept bleiben, damit die Produktion und Entwicklung weiterlaufen kann. «Aber wir Aktionäre entscheiden selber, wie viel Marge wir beim Verkauf erzielen wollen und wie viel wir bei unserer gemeinsamen Firma lassen», streicht Ramsauer den Vorteil hervor. Im Gegenzug tragen sie das Risiko selber, dass ihre Bikes doch nicht so gefragt sind, wie sie erwarten.
Hinzu kommt das Aktienpaket, für das die einen 10’000 Franken, die anderen 5000 Franken bezahlt haben und das wie bei jeder AG wertlos werden kann, wenn das Unternehmen nicht rentiert. «Drei eingekaufte E-Fullies kosten einen Händler mehr als ein Aktienpaket der Swiss Bike Concept AG und sind ein mindestens so grosses Risiko», relativiert Ramsauer.
Keine Angst vor Retourkutschen
Ob er sich Gedanken mache, was die bestehenden Hersteller davon halten, dass ihre Händler nun ihr eigenes Ding machen, will Ride von Harry Ramsauer wissen. Der meint ganz unverblümt: «Die fragen uns auch nicht, bevor sie einen nahen Mitbewerber beliefern. Wir sind alle Unternehmer und machen, was wir für richtig und nachhaltig halten.»
Dabei ist klar, dass 80 Velos einem etablierten Hersteller keine Delle in den Absatz schlagen werden. Und das Einkommen eines guten Dutzends Fachhändler nicht entscheidend erhöhen. Es könnten freilich auch mehr werden. Ein Alu-Bike, das sich als Touren- oder Alltagsvelo sowie als Hardtail fürs Gelände aufbauen lässt, ist bereits entwickelt. Als nächstes Von-Drais-Modell hätte Ramsauer gern ein E-Fully – jene Sparte, in der die Händler beim Einkauf einiges an Kapital aufs Spiel setzen.