Adieu, Lorraine: Ein grosses Kämpferherz ist verstummt | Ride MTB

Adieu, Lorraine: Ein grosses Kämpferherz ist verstummt

Lorraine Truong gehörte einst zu den besten Enduro-Athletinnen der Schweiz, bis ein folgenschwerer Sturz ihre Mountainbike-Karriere jäh beendete. Fast zehn Jahre lang kämpfte die Romande um ihr sportliches Leben, um ein Stück Normalität und um Anerkennung. Nun ist sie im Alter von 35 Jahren verstorben.

Truong wurde 2011 U23-Schweizermeisterin im Cross Country. Doch bald entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Enduro-Rennsport, wo sie schnell erste Erfolge feiern konnte. Mit der Gründung der Enduro World Series im Jahr 2013 nahm ihre neue Karriere Fahrt auf. Sie arbeitete Teilzeit in der Entwicklungsabteilung von BMC und widmete die übrige Zeit ganz dem Training. Schritt für Schritt rückte sie in die Weltspitze vor und zählte bald zu den besten fünf Fahrerinnen der Welt.

Stürze gehören im Mountainbikesport zum Alltag. Doch ein Unfall beim Enduro-World-Series-Rennen in Samoëns im Jahr 2015 veränderte alles. Lorraine erlitt ein schweres Hirntrauma. Vorangegangene, zunächst harmlos wirkende Kopfverletzungen hatten sich aufsummiert. Der eine Sturz war schliesslich einer zu viel.

Der lange Weg zurück ins Leben

Mit 25 Jahren hoffte sie zunächst, nach wenigen Wochen wieder trainieren zu können. Doch aus Wochen wurden Monate. Der sportliche Ehrgeiz wich bald einem viel grundlegenderen Ziel: zurück ins Leben zu finden. Anfangs bedeutete das, alltägliche Dinge zu meistern, dann Schritt für Schritt ein Leben mit weniger Schmerzen zu führen und etwas Normalität zurückzugewinnen. Jeder Fortschritt war ein hart erarbeiteter Meilenstein.

Die anhaltende Erschöpfung raubte ihr zunehmend die Mobilität. Der Rollstuhl wurde zu einer wertvollen Unterstützung und öffnete ihr neue Wege. Im WCMX, einem Rollstuhlsport mit Tricks im Skatepark, entdeckte sie eine neue Ausdrucksform. Zunächst feierte sie kleine Erfolge, dann immer grössere. Im Dezember 2022 wurde sie schliesslich Weltmeisterin im WCMX. Gleichzeitig machte sie öffentlich auf die Schwierigkeiten aufmerksam, mit denen Menschen mit komplexen gesundheitlichen Problemen täglich konfrontiert sind. Lorraine wurde zur Stimme vieler junger Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen.

Ein Leben zwischen Hoffnung und Hürden

Auch dieses neue sportliche Kapitel war von Rückschlägen geprägt. Lorraine kämpfte nicht nur mit den Folgen ihrer Erkrankung, sondern auch mit einem System, das sie immer wieder allein liess. Sie sprach offen darüber, dass es im paralympischen Sport trotz neuer Standards oft an Bereitschaft fehle, individuelle Lebensrealitäten ernsthaft anzuerkennen. Ihre Karriere wurde abrupt beendet – ohne transparente Begründung und ohne Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. 

Diese Erfahrung stellte vieles infrage, was ihr wichtig war, und belastete sie tief. Die institutionelle Ohnmacht, sei es im Sport, bei Versicherungen oder in der Gesellschaft, beschrieb sie als zermürbend. Trotz allem blieb Lorraine voller Hoffnung. Ihre Stimme war leise, aber klar, und sie trug weit. Sie kämpfte nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Für ein System mit mehr Verständnis, für eine Gesellschaft mit mehr Mitgefühl. Ihr Mut, ihre Offenheit und ihr kämpferisches Herz machten sie zu einer inspirierenden Persönlichkeit über den Sport hinaus. 

Ihr Herz schlug bis zuletzt für Fairness, Freiheit und Bewegung – sei es auf zwei Rädern, auf vier Rollen oder ganz einfach im Leben. Doch ihre Kräfte schwanden, und Lorraine erreichte den letzten Abschnitt ihres Weges. Am 10. Juni ist sie von uns gegangen.

Ruhe in Frieden, liebe Lorraine.

 

Lorraine ruht im Bestattungsinstitut Pagliotti frères (Av. du Gd-St-Bernard 68, 1920 Martigny), wo Angehörige und Freunde am Samstag, 14., und Sonntag, 15. Juni 2025, Abschied nehmen können. Die letzte Abschiedsfeier findet am Montag, 16. Juni 2025, um 14.30 Uhr im Freien auf dem Flurstück «Charançon» oberhalb von Vollèges bei Verbier statt – so, wie Lorraine es sich wohl gewünscht hätte.

Lorraine, ein grosse Kämpferin mit grossem Herzen


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