Alec Wohlgroth: «Jetzt sind wir nicht mehr Waldnutzer zweiter Klasse» | Ride MTB

Alec Wohlgroth: «Jetzt sind wir nicht mehr Waldnutzer zweiter Klasse»

Vordergründig haben sich Alec Wohlgroth und Matthias Lüscher gegen eine Busse gewehrt, die ihnen für das Befahren von Singletrails am Uetliberg verpasst worden war. Herausgekommen ist der Gerichtsentscheid, der zumindest im Kanton Zürich bestätigt, dass alle Singletrails befahren werden dürfen, auf denen kein Fahrverbot signalisiert ist. Dazwischen liegen zweieinhalb Jahre, in denen Alec nicht nur um ein Recht der Zürcher Mountainbiker kämpfte, sondern auch von Teilen der Bike-Gemeinde massiv angegriffen wurde.

Nach dem Aufruhr, den die Ausstrahlung der SRF-Sendung ausgelöst hat, hast du dein Verhalten selber als naiv bezeichnet. Wie schätzt du das heute ein?
Es war etwas naiv, das sehe ich heute noch so. Aber ich hatte einfach Freude, meinen geliebten und vielmals belächelten Hausberg zu zeigen. Hätte ich gewusst, auf welchen Widerstand ich treffe, hätte ich mich wohl nicht getraut. Andersrum fand ich auch, dass es an der Zeit ist, zu zeigen, dass Trailbiken nicht nur in den Bergen stattfindet, sondern auch in den Wäldern in Stadtnähe. Was hunderttausende Schweizerinnen in ihrer Freizeit machen, muss man nicht länger verstecken.
 
Du hättest es nicht gemacht, sagtest du gerade. Was waren die unmittelbaren Folgen für dich?
Viele schlaflose Nächte. Es ist schlimm, wenn man bezichtig wird, etwas Verbotenes getan zu haben. Den Shitshorm in den sozialen Medien habe ich nur indirekt mitbekommen, weil ich die nicht gross beachte. Persönlich habe ich mehrere hundert positive Reaktionen erhalten und drei oder vier kritische.
 
Der Vorstand des Vereins Züri Trails hat dich mit einem Brief massiv angegriffen. Wie war das für dich und wie hast du darauf reagiert?
Der Brief war schlimm. Da wurde ich richtig an den Pranger gestellt. Ich habe ihnen dann zurückgeschrieben und wir haben uns wenig später im Wald getroffen, haben zusammen gegrillt und diskutiert. Dort wurde klar, dass wir eigentlich alle dasselbe wollen, nämlich, dass wir Singletrails fahren dürfen. Sie fanden aber immer noch, dass ich etwas Dummes gemacht hatte, das Trailbiken sollte man nicht zeigen, obwohl sie es alle auch selber tun. Ich war schon da überzeugt, dass es nicht verboten ist, die Singletrails am Uetliberg und in den meisten Gegenden der Schweiz zu fahren. Sie sagten dann, wenn das wirklich stimme, dann würde das alle Biker in eine neue Position bringen und sie würden diese dann auch vertreten.
 
Dann kam der Strafbefehl mit einer happigen Busse. Hat die Höhe eine Rolle gespielt dabei, dagegen Einsprache zu erheben?
Nein, da hatte ich aus der Szene schon so viel Zustimmung erhalten und die Energie war schon da, mich zu wehren. Ich bin keiner, der den Streit sucht. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass jemand seine Macht missbraucht, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, dann weckt das Widerstand in mir. Mountainbiken ist ein Grossteil meines Lebens, da musste ich dafür einstehen. Ich hatte da auch schon die meisten Fakten und Argumente gesammelt und war überzeugt, dass wir nichts Falsches gemacht hatten.
 
Ihr wart also von Anfang an überzeugt, dass ihr gewinnen würdet?
Ja, das waren wir. Wenn wir geglaubt hätten, dass wir etwas Verbotenes tun, hätten wir uns sicher nicht dabei gefilmt und das am Schweizer Fernsehen gezeigt. Wir sind keine Autoraser, die Videos davon posten, wie sie auf der Autobahn das Gesetz brechen. Und trotzdem spürte ich einen starken Druck, grösstenteils von Züritrails und von den Behörden. Es haben sich Behördenvertreter und Pressesprecher gemeldet, mir alle Schande gesagt und mich zurechtgewiesen. Da war ich dann doch recht verunsichert. Aber sie haben das vielleicht auch getan, um uns einzuschüchtern, damit wir uns auf keinen Fall gegen die Busse wehren, denn eigentlich wussten auch sie, dass das Recht auf unserer Seite ist.
 
Trotzdem hast du viel Zeit dafür aufgewendet, deine Verteidigung vorbereitet. Was hast du konkret gemacht?
Ich habe mit vielen Leuten geredet, auch mit Freunden, die Juristen sind und biken. Denen habe ich viel zu verdanken. Ich habe viel gelesen und das wieder und wieder durchgedacht und neu formuliert. Das hat permanent gedreht in meinem Kopf, ich bin ein paar Mal in der Nacht aufgewacht und habe mir eine Notiz gemacht, weil mir noch ein Argument eingefallen ist. Einerseits wusste ich, dass ich im recht bin, andererseits braucht es die richtigen Argumente, weil der Gegenseite das Verständnis fürs Biken fehlt. Wenn man selber bikt, hat man viele Gleichdenkende im Umfeld. Da ist es teils schwierig, die Sorgen und Ängste der Kritiker zu verstehen. Ich wurde auch von Wildhütern und Förstern von Grün Stadt Zürich auf Begehungen im Wald eingeladen. Von ihnen habe ich vieles gelernt und erkannt, dass sie nicht alle gegen uns Biker sind.
 
Lief die erste Runde vollständig schriftlich ab?
Unseren Rekurs haben wir schriftlich eingereicht. Danach mussten wir beim Statthalteramt antraben, Fragen beantworten und unsere Argumente vortragen. Das war schon ziemlich beeindruckend. Wir standen beide noch nie vor einer solchen Instanz und ich möchte es auch nie mehr müssen.
 
Das Statthalteramt hat als Erstinstanz drei der fünf Singletrails, die ihr in der Sendung gefahren seid, für nicht verboten befunden. Warum habt ihr euch nicht damit zufrieden gegeben, sondern weitergezogen?
Wir waren nah dran aufzugeben, aber wir hatten so viel Rückhalt in der Bike-Szene. Und wir waren ja überzeugt, dass gar nichts von dem, was wir gemacht und in der Sendung gezeigt hatten, illegal ist. Es ging jetzt noch um Details: Einerseits um die Mündigkeit der Biker. dass sie vollständig selber beurteilen können, ob ein Weg zum Biken geeignet ist oder nicht. Und dass ein klar erkennbarer Weg, der in alten Karten eingezeichnet ist, weiterhin befahren werden darf.
 
Wart ihr auch da überzeugt, dass ihr Recht bekommen würdet?
Nein und wir fragten uns auch, ob wir am Ende alles verlieren könnten. Doch das Bezirksgericht bestätigte uns, dass es nur noch um die zwei Wege und Sachverhalte ging, die das Statthalteramt als illegal bezeichnet hat.
 
Wie wars vor Gericht?
Ich glaube, in meiner ganzen Schulzeit war ich nie so nervös und fühlte mich so eingeschüchtert wie vor diesem Gericht. Da wir aber als zwei Biker und ohne Anwälte auftraten, haben sie uns zwar streng behandelt, aber sie haben uns auch wohlwollend den Ablauf der Verhandlung erklärt. Sie liessen uns ausführlich zu Wort kommen, hörten sich alle unsere Argumente an. Dann erklärten sie uns, was im schlimmsten Fall auf uns zukommen könnte: Gebühren von über 10'000 Franken oder sogar Haft. Und sie fragten nochmals, ob wir zurückziehen wollen.

Was ihr offensichtlich nicht getan habt. Wie ging es weiter?
Sie sagten: Gut, dann beraten wir uns jetzt. Matthias und ich gingen in ein Migros-Restaurant über die Strasse. Ich war so nervös, konnte weder essen noch trinken. Nach zwei oder drei Stunden riefen sie uns an, wir könnten zurückkommen. Eigentlich hätten wir gar nicht nervös sein müssen, denn wir waren uns unserer Rechte bewusst. Und dennoch fragten wir uns, ob irgendwie alles wieder kippen könnte. Dann setzte die Richterin zu einem Satz an, der so viele Paragrafen, Kommas und Klammern hatte, dass ich mich fragte, ob der zum Schluss überhaupt noch aufgehen konnte. Ich hatte vor Aufregung den Faden längst verloren, da hörte ich «freigesprochen». In dem Moment, konnte ich es gar nicht richtig fassen, bis ich sicher war, dass wir tatsächlich in allem recht bekommen hatten.
 
Wie fühlte sich das an?
Ich glaube, wir wären beide am liebsten jubelnd im Saal umhergesprungen, liessen uns aber nichts anmerken und blieben betont höflich und ruhig. Auch noch, als wir durch den Gang nach draussen gingen, hielten wir uns zurück. Erst draussen holten wir das Hüpfen und Jubeln nach.
 
Das war im Oktober. Wieso habt ihr das Urteil erst im neuen Jahr publik gemacht?
Wir warteten auf das schriftliche Urteil. Sie hatten uns zwar schon im Gerichtssaal erklärt, dass das Urteil rechtsgültig sei, aber wir wollten es schriftlich, auch um klar zu sehen, mit welcher Begründung das Gericht das Befahren der Singletrails für legal erklärt hatte. Das schriftliche Urteil erhielten wir kurz vor Weihnachten.
 
In letzter Konsequenz hat das Gericht entschieden, dass ein Weg mit einem Fahrverbotsschild versehen sein muss, damit klar ist, dass das Befahren verboten ist. Hast du keine Angst, dass genau das jetzt reihenweise passiert?
Das wäre natürlich das Dümmste, das passieren könnte. Aber ich habe keine Angst. Ich bin überzeugt, die Behörden haben die Grösse, es nun bei diesem Entscheid bewenden zu lassen, sodass Ruhe einkehren kann. Sie sind ja nicht Bike-feindlich eingestellt und es ist auch für sie ein Vorteil, dass die Rechtslage jetzt geklärt ist. Es ist jetzt ja auch klar geregelt, was Biker eben nicht dürfen. Zudem war es bisher schon so, dass dort, wo es offensichtlich Sinn macht, Bikefahrverbote erlassen werden. Wenn die Behörden jetzt aus Trotz Verbote aufstellen würden, dann gäbe das sehr grossen Unmut in der Bikeszene. Was wir jetzt alle wollen, ist ein friedliches Miteinander in den Wäldern!
 
Setzt du dich jetzt dafür ein, dass die Zürcher Regelung auch in weiteren Kantonen gültig wird?
Nein, das müssen die Biker an den jeweiligen Orten mit Ihren Vereinen selber tun. Da muss man sehr lokal-spezifische Kenntnisse haben, da kann und will ich mich als Stadtzürcher nicht einmischen. Aber sie haben nun alle eine wertvolle Grundlage, um künftig mehr auf Augenhöhe verhandeln zu können. Ich habe jetzt genug Bike-Politik betrieben und will wieder einfach das Biken auf Singletrails geniessen. Das heisst, eine kleine Kampagne könnte ich mir noch vorstellen.
 
Mit welchem Inhalt?
Respekt vor Fussgängern und der Natur. Eigentlich nichts Neues: Wir müssen noch rücksichtsvoller auf den Singletrails unterwegs sein, ruhig bremsen, vielleicht mal demonstrativ absteigen, grüssen, freundlich sein zu allen, die wir antreffen. Und auch andere Veklofahrerinnen ermahnen, die sich nicht daranhalten. Das sind aus meiner Sicht häufig die «Kieswege-Rennfahrer», meist ohne Helm und mit Stöpseln in den Ohren. Auch die vielen neuen E-Biker, denen das Verständnis fehlt, wofür wir uns Jahrzehnte eingesetzt haben. Diese müssen wir erreichen. Ich glaube solche werden mehrheitlich von den Fussgängern als Biker wahrgenommen.
Es ist jetzt an uns Bikern zu zeigen, dass wir verantwortungsvoll mit dem Recht umgehen können, das uns zusteht. Jetzt triumphierend und rücksichtslos über die Wege zu brettern wäre völlig verkehrt.
 
Eine Goodwill-Aktion der Trailbiker?
Eine Aktion aus der Bikeszene heraus, nicht unbedingt mit städtischer Unterstützung, Etwas das auch andere Waldbenutzerinnen wahrnehmen. Vielleicht Flyer oder Poster, die alle anderen, die auf den Wegen unterwegs sind, auch zu sehen bekommen. Sie sollen spüren, dass die Biker ihr Verhältnis zu den anderen Menschen anpassen wollen. Wir Biker müssen jetzt nicht mehr die Rebellen sein, um zu unserem Recht zu kommen, sondern sind den anderen Waldnutzern gleichgestellt und können auf Augenhöhe gemeinsam den Wald und die Wege geniessen. Aber es liegt auch an den Fussgängerinnen, weniger auf Konfrontation aus zu sein!
Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen, unsere Naherholungsgebiete künftig grösstenteils in Frieden teilen zu können. Rowdies wird es leider immer ein paar geben. Spass und Erholung wollen ja alle, die sich in der Natur bewegen. Den positiven Prozess und die Veränderung müssen aber wir selber lostreten!