Fahrbericht: Das kann Srams E-MTB-Antrieb mit Automatikschaltung
Es ist ein bewährtes Rezept, dass bereits Specialized kocht. So setzt auch Sram auf eine solide Motorenbasis von Brose und lässt ihn nach der hauseigenen Software arbeiten. Der Motor ist rennerprobt und wurde von Sram-Werksfahrer Yannick Pontal bereits erfolgreich durch die Saison 2022 der E-Enduro World Series gejagt – er entschied die Serie für sich. Wegen des Rennsporthintergrunds belässt es Srams simpel und bietet lediglich ein vereinfachtes Menu mit nur zwei Unterstützungsstufen und ein minimalistisches Display. Dafür trumpft das System mit der Automatikschaltung «Auto Shift» dem Coast Shift, das Schaltvorgänge ohne Treten ermöglicht.
Zwei Modi (müssen) reichen
Eingeschalten wird das System am Display im Oberrohr. Die Unterstützungsmodi werden mit der einen Taste am linken Schaltpod gewählt, während mit der zweiten Taste die Reverb bedient werden kann, je nach Ausstattung und Belegung der Tasten. Es geht los im Range-Modus, der bei anderen E-Bike-Motorenanbietern meist als Eco-Modus bezeichnet wird. Doch mit voreingestellten 50 Prozent der Maximalleistung, die per App anpassbar sind, ist er mehr als Eco. Der Motor greift kraftvoll und sehr natürlich ein und bietet selbst bei tieferen Trittfrequenzen ordentlich Unterstützung, selbst dann noch genug wenn es steiler wird oder man Singletrail-Anstiege bewältigt.
Wo aber mehr Power benötigt wird, in wirklich steilen Rampen oder zum Überwinden von Stufen und technisch anspruchsvollem Terrain, ist man mit der Rallye-Stufe besser bedient. Bei vielen Herstellern heissen diese oft Turbo- oder Boost-Modus und sind meist zu brachial, um Trails noch kontrolliert hochzufahren. Nicht so beim Eagle Powertrain, der sanft und ebenso natürlich einsetzt wie im Range-Modus. Mit zunehmendem Druck gibt der Motor dann aber seine Kraft frei, bleibt aber selbst in technisch anspruchsvollem Gelände erstaunlich gut kontrollierbar. Zudem macht der Motor bei vollem Schub kaum Antriebsgeräusche und bergab klappert nichts, was höchst sympathisch ist.
Schaltautomatik, ja oder nein?
Um die Power aufs Hinterrad zu bringen, nimmt Sram einem die Arbeit ab. Je nach Gang, Trittfrequenz und Krafteinwirkung schaltet die GX Eagle Transmission dank Auto Shift automatisch hoch oder runter. Tatsächlich funktioniert das sehr gut. Egal ob bergab, geradeaus oder berghoch, bei einer gemütlicheren Fahrweise wählt die Schaltung auch in steileren und anspruchsvolleren Anstiegen die richtigen Gänge.
Wann die Kette den Sprung aufs nächstkleinere oder -grössere Ritzel machen soll, das kann direkt mit den Schaltpods eingestellt werden. Bei -3 wechselt die Schaltung bei tiefen Trittfrequenzen. Bei +3 zappelt man schon ordentlich, bis der Schaltvorgang passiert. Die Empfindlichkeit lässt sich einfach unterwegs anpassen, indem die Runterschalttaste zwei Sekunden gedrückt und danach die sieben Stufen mit Hoch- oder Runterschalten gewählt werden. Hier muss man etwas rumprobieren, um die passende Stufe zu finden. Bei dieser Testfahrt fühlte sich die +1 am besten an.
Passiert der automatische Schaltvorgang aber zu früh, lässt sich das System kurzzeitig manuell übersteuern. Da das System nicht vorausschauend schalten kann, hat man so die Gelegenheit vor steilen Rampen vorzeitig einen leichteren Gang einzulegen, mit dem es sich leichter beschleunigen lässt.
Wer sportlich fahren will, der wird mit dem Auto Shift nicht vollends glücklich, da es oft zu früh in die schwereren Gänge schaltet. Entweder man übersteuert das System häufiger oder schaltet komplett auf manuelles Schalten um. Dafür wird einfach die Hochschalttaste gedrückt gehalten, bis das Display «Auto Shift OFF» anzeigt.
Was nicht ausgeschaltet werden kann, ist das Coast-Shift-System, das automatische wie auch manuelle Schaltvorgänge auch pedalieren ermöglicht. Ein Freilauf in der Kurbel macht dies möglich und bringt einen tatsächlichen Vorteil, wenn die Abfahrt im anspruchsvollen Gelände sogleich in einen Anstieg wechselt. Auch wenn hier Treten unmöglich ist, lässt sich für den Gegenanstieg bereits der richtige Gang einlegen. Diese Möglichkeiten brauchen allerdings etwas Angewöhnungszeit.
Power bis knapp vor Schluss
Laut Sram gehören die Batteriezellen der verwendeten Akkus aktuell zu den Leistungsfähigsten am Markt. So wiegt beispielsweise der 630-Wattstunden-Akku nur 3.1 Kilogramm. Beim Fahrtest, wo man gerne öfters übertrieben Gas gibt, anstatt auf eine hohe Reichweite zu achten, kamen rund 40 Kilometer und 1400 Höhenmeter zusammen. Das bei einem Fahrergewicht von 77 Kilogramm und bei etwa zwei Dritteln im Range- und einem Drittel im Rally-Modus. Die Reichweite bewegt sich in etwa im Bereich anderer 630er Akkus und lässt sich mit einer sparsameren Fahrweise problemlos verlängern, wozu die Testdauer aber ausreichte.
Zeigt der Akkustand leer an, dann verfüge er noch über genügend Reserven, um gekoppelte Lampen und auch die direkt am E-Bike-Akku angeschlossene AXS-Schaltung noch weitere zwei Stunden zu versorgen. Der Motor ist dann aber aus. Anders wenn das Display nur noch fünf Prozent anzeigt. Der Motor schaltet gefühlt aus, doch beim genaueren reinfühlen bemerkt man, dass er noch ganz leicht unterstützt. Das ist kaum wahrnehmbar, reicht aber gerade, um das Mehrgewicht des Bikes zu kompensieren, so dass man auf dem letzten Kilometer nicht komplett hängen gelassen wird.
Fazit
Pragmatisch betrachtet, ist Srams erster E-Mountainbike-Motor keine Weltsensation. Doch das gesamte System mit Steuerung und Schaltung ist wirklich gut. Der Eagle Powertrain vereint eine sehr kraftvolle Unterstützung mit einer natürlichen Charakteristik, während die Steuerung aufs Wesentliche reduziert ist. Ein weiteres Plus, es kann noch so scheppern, da klappert kein Antriebsfreilauf. Das Auto-Shift-Schaltsystem überzeugt aktuell «nur» bedingt, da es bei rennmässiger Fahrweise oft etwas zu früh in die schweren Gänge schaltet. Trotzdem dürfte es in Zukunft nur noch besser werden und bald die optimale Lösung für das Gros der Nutzer sein. Die Coast-Shift-Funktion ist dafür schon jetzt ein echter Mehrwert.
Stefan Eigner