Red Bull Hardline lotet die Grenzen des Machbaren am Mountainbike neu aus
«Ich wünschte, ich wäre etwas furchtloser.» Mit diesen Worten zog die amtierende Downhill-Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin Valentina Höll ihre Teilnahme an der Red Bull Hardline in Tasmanien zurück. Allein das verdeutlicht, wie extrem die Strecke im Maydena Bikepark ist, auf der am kommenden Samstag die zweite Auflage der Hardline Down Under stattfinden wird. Höll ist mit ihrer Entscheidung keineswegs allein. Auch Loic Bruni, Tahnée Seagrave und Nina Hoffmann haben die Einladung, mitzufahren, ausgeschlagen. Trotzdem werden am Wochenende genügend unerschrockene Youngsters, Stars und Legenden den angsteinflössenden Kurs unter die Stollen nehmen. Die Online-Liveübertragung startet um 4 Uhr morgens unserer Zeit. Red Bull wird für Langschläfer auch einen Replay anbieten.
Mit der Hardline, die ihre Premiere 2014 in Wales feierte, scheint der österreichische Getränkekonzern eine neue Rennserie schaffen zu wollen. Seit sich der Weltradsportverband (UCI) 2023 für die Übertragung der Weltcuprennen mit Warner Brothers einen neuen Partner gesucht hat, forciert Red Bull die Hardline-Serie. Anfangs wurde nur einmal pro Jahr ein Rennen in Wales ausgetragen. Seit 2024 sind es mit Tasmanien schon zwei Stopps. Und offenbar ist bereits Nummer drei in Kanada in Planung, wie Red Bull-Athlet und Hardline-Gewinner Jackson Goldstone in einem Interview verraten hat. Für den Profi-Zirkus, der zu wenige Rennen im Weltcup-Kalender kritisiert, eine willkommene Gelegenheit, sich und ihre Sponsoren dem weltweiten Publikum über den kostenlosen Red Bull-TV Livestream zu präsentieren.
Husarenritt am Mountainbike
Die Hardline vereint die Spielarten Downhill und Freeride zu einem einzigartigen, waghalsigen Konzept. Während sich Profi-Downhiller mit den gewaltigen Sprüngen, die mit knapp 80 Stundenkilometern angefahren werden und die teils über 30 Meter weit gehen, schwer tun, hadern die Freerider mit der schieren Streckenlänge und den rauen Downhill-Passagen. Für die Zuschauer bedeutet dieser Mix ein Spektakel. Schon die Video-Blogs vom Training der vergangenen Tage zeigen ungewohnte Bilder: ein ganzer Pulk Mountainbike-Profis steht nervös am Streckenrand und begutachtet, wie Waghalsige die Features vorspringen. «Angst!», ist dabei eines der am meisten benutzten Wörter unter den Beobachtern.
Der Respekt kommt nicht von ungefähr. Es gleicht einem Husarenritt, die Hardline-Strecke zu bezwingen. Und dieses Wagnis fordert seinen Tribut. Im Vorjahr beendete Jackson Goldstone seine Rennsaison 2024 in Tasmanien, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Im Rennen krachte er mit voller Geschwindigkeit gegen einen Baum und riss sich dabei das Kreuzband. Heuer forderte bereits das Training seinen Tribut. Der britische Freerider Kaos Seagrave landete am Zielsprung etwas zu kurz, was einen bösen Sturz zur Folge hatte, den er aber offenbar mit ein paar Schrammen überstanden hat. Der Franzose Edgar Briole musste hingegen von Rettungskräften abtransportiert werden. Was genau passiert ist, blieb zunächst aber unklar. Denn vom Veranstalter gibt es dazu bisher keine offiziellen Informationen, nur im Video-Blog von Matt Jones ist kurz davon die Rede, dass Briole am riesigen Sprung über den bewaldeten Canyon in der Luft sein Rad verlassen hat. Offenbar will man derlei Bilder nicht gern zeigen. Mehr Transparenz, auch was die Risiken angeht, wäre aber wünschenswert angesichts der jungen Fan-Gemeinde.
Junge Wilde, Legenden und Frauenpower
Das Starterinnen- und Starterfeld für Samstag wird also schon etwas ausgedünnt sein, bevor das Rennen überhaupt beginnt. Anders als im Weltcup ist die Hardline eine so genanntes Invitational, also ein Rennen, bei man nur auf Einladung des Veranstalters teilnehmen kann. Um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, wurden neben den jungen Wilden der Freeride-Szene, wie Godziek oder Théo Erlangsen, auch etablierte Racer aus dem Downhill-Weltcup, wie Troy Brosnan oder Charlie Hatton, sowie einige echte Legenden des Sports eingeladen. Dass sich die 39-jährigen Gee Atherton [Anm.: das Alter wurde nachträglich korrigiert] und Sam Hill dieses Wagnis noch antun, verdient Respekt. Und mit Josh «Ratboy» Bryceland ist nach langer Rennpause ein ganz besonderer Publikumsliebling wieder in Aktion zu sehen
Neben den Herren werden auch wieder eine Handvoll Damen am Start sein. 2024 haben Gracey Hemstreet und Louise Ferguson als erste Frauen ein komplettes Hardline-Rennen absolviert. Davon inspiriert wuchs das Starterinnen-Feld 2025. Höll, Seagrave und Hoffmann haben zwar bereits zurückgezogen, aber neben den beiden Vorjahres-Finishern sind heuer noch Cami Nogueira, Veae Veerbeck, Erice van Leuven und Elise Empsey gewillt, die Strecke zu bezwingen. Ob sie alle am Samstag wirklich starten, wird sich weisen. Denn die Fahrerinnen müssen den neuen unteren Abschnitt mit den größten Sprüngen erst noch testen. Auch die Startliste der Herren könnte bis Samstag noch ausdünnen.
Zu den grossen Favoriten zählen die drei Hardline-Dominatoren der vergangenen Jahre: Ronan Dunne, Bernard Kerr und Jackson Goldstone. Bei den Damen scheint Gracey Hemstreet wieder diese Rolle einzunehmen. Die Fans erwartet ein Spektakel, das kostenlos online verfolgt werden kann. Im Livestream sorgen Rob Warner und Elliot Jackson für Stimmung. Sie werden dabei von Valentina Höll beim Herrenrennen und Ronan Dunne beim Damenrennen unterstützt. Für Unterhaltung ist also gesorgt. Bleibt nur zu hoffen, dass es keine weiteren Verletzten gibt.
Links:
Hier wird Samstag um 4 Uhr früh der Livestream starten.
Bernard Kerrs Video Blog vom Training.