Viele verstehen Flückigers Freispruch falsch – das alles ist schief gelaufen
Mathias Flückiger darf wie so viele Studiogäste im Sportpanorama des SRF ausgiebig Applaus entgegennehmen. Anlass ist der definitive Freispruch von allen Doping-Vorwürfen, nachdem die Gegenparteien das Urteil nicht weitergezogen haben.
In den ersten Minuten des Gesprächs geht es darum, wie «Math» die Zeit nach dem Test überstanden hat. Doch dann gibt Moderator Pädi Kälin dem Gespräch eine Wende: Er sei ja nur wegen Verfahrensfehlern freigesprochen worden. «Wenn es die Verfahrensfehler nicht gegeben hätte, würden Sie hängen!», spitzt der Journalist zu.
Mathias Flückiger gelingt es in dem Moment nicht, klarzumachen, dass er nicht mit Glück freigesprochen worden ist, sondern Pech hatte, dass ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde, das aufgrund der geltenden Regeln gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen. «Ich habe also nicht von Verfahrensfehlern profitiert, sondern wurde Opfer von mehreren Verfahrensfehlern» erklärt er wenig später auf Anfrage von Ride. Und so hat auch die Disziplinarkammer des Schweizer Sports geurteilt: Das ganze Verfahren gegen den Athleten war ein Fehler.
Flückiger war nicht glücklich mit seinem Auftritt am Schweizer Fernsehen. «Ich muss gestehen, dass es mir in jenem Moment in der Livesendung nicht gelungen ist, die Sachen klar darzulegen. Die Frage war auch unklar und verwirrend gestellt.» Die Ursache zu finden und damit seine Unschuld zu beweisen sei sein persönliches Ziel gewesen. Im Verfahren habe er aber nicht seine Unschuld beweisen müssen, da es gar kein Verfahren hätte geben dürfen.
Urinprobe ist nicht verwertbar
Wie kommt es dazu? Flückigers Urinprobe, abgegeben an den Schweizermeisterschaften 2022 in Leysin, hätte nicht verwertet werden dürfen. Dies – primär, aber nicht nur – weil sie nach der Entnahme nicht korrekt gelagert worden war – die Chefkontrolleurin hatte diese offenbar mehr als 36 Stunden lang in ihrem privaten Kühlschrank aufbewahrt, ohne dass dies dokumentiert worden wäre. Wo sich die Probe zwischen dem SM-Gelände in Leysin und dem Labor in Lausanne befand, habe die betreffende Mitarbeiterin erst im Lauf des Verfahrens mündlich erklärt. Dabei wäre von Anfang an lückenlos zu dokumentieren gewesen, wann sich die Probe wo befand. Weitere Fehler im Umgang mit der Probe haben der Tages-Anzeiger und der Blick im 103 Seiten starken Urteil zusammengetragen, das auch Ride vorliegt.
Hinzu kommt, dass die Menge des festgestellten Anabolikums Zeranol so gering war (weniger als 10 Prozent des Grenzwerts), dass die für die Dopingkontrollen verantwortliche Organisation Swiss Sports Integrity SSI einen 10-Punkte-Plan der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hätte abarbeiten müssen. Bis dahin hatte die Probe nur ein «atypisches Resultat» erbracht und kein positives. Anhand der zehn Punkte hätte SSI begründen müssen, weshalb diese Probe doch als positives Resultat zu werden sei und deshalb ein Verfahren die logische Konsequenz.
Diese Begründung hat SSI nie geliefert, weshalb Flückigers Probe gemäss Entscheid der Disziplinarkammer des Schweizer Sports definitiv nur als atypisches und nicht als positives Resultat zu werten ist. Dass SSI danach dennoch ein Doping-Verfahren gegen ihn eingeleitet hat und schliesslich auch die Öffentlichkeit über die vermeintlich positive Probe informiert worden ist, war der Fehler, der Flückigers Ruf für immer beschädigt, ihm eine ungerechtfertigte provisorische Sperre eingetragen und ihn schliesslich auch sehr viel Geld gekostet hat. Neben entgangenen Sponsorengeldern und möglichen Siegprämien auch die Kosten für sein juristisches und wissenschaftliches Team, das ihm half zu seinem Recht zu kommen. Allein Letzteres habe ihn gegen 150’000 Franken gekostet, hat er im Sportpanorama durchblicken lassen.
Swiss Sports Integrity anerkennt das definitive Urteil nicht
SSI anerkennt das Urteil nicht und sieht lediglich aufgrund einer «Güterabwägung und in Anbetracht der Tatsache, dass die Fragestellung der Verwertbarkeit der Urinprobe lediglich eine limitierte Teilfrage des gesamten Verfahrens darstellt» davon ab, den Entscheid der DK vor dem internationalen Sportgerichtshof anzufechten.
SSI, verantwortlich für die Doping-Kontrollen und Proben-Analysen in der Schweiz, ist überzeugt, dass das, was Flückiger am Ablauf der Proben-Entnahme und deren Weiterleitung an das Labor in Lausanne beanstandet, die Probe nicht beeinträchtigt und das Resultat der Analyse nicht beeinflusst habe.
Flückiger kritisiert SSI für diese Haltung scharf: «Dass SSI sich über klare Regeln und Abläufe hinwegsetzt, ist untragbar. Für mich und alle anderen Schweizer Sportlerinnen und Sportler führt das zu einem grossen Misstrauen in die Institution, welche sich eigentlich für fairen Sport einsetzen sollte.»
Swiss Cycling stellt sich auf die Seite des Kritikers
Die andere Organisation, die im Fall Flückiger keine gute Figur abgegeben hat, ist Swiss Cycling. Der Schweizer Verband hat das Testresultat öffentlich gemacht und eine provisorische Sperre ausgesprochen, für die es keine Grundlage gab. «Swiss Cycling hätte die Fehler von SSI stoppen können», ist Flückiger überzeugt. «Man hätte sich nur die Unterlagen genau anschauen müssen.» Stattdessen habe Swiss Cycling ihn vorverurteilt und dies auch noch aktiv den Medien mitgeteilt.
Swiss Cycling sieht sich offensichtlich nicht als Teil des Problems, sondern stellt sich nun hinter die Forderung Flückigers. Die Verfahren müssten verhältnismässig und generell so ausgestaltet sein, dass die persönliche Integrität der Betroffenen jederzeit gewährt sei, schreibt der Schweizer Radsportverband und urteilt: «In der Causa Mathias Flückiger war dies unseres Erachtens nicht der Fall.»
Für Flückiger ist SSI verantwortlich für das Verfahren, das es nie hätte geben dürfen. Er hat aber nicht vergessen, dass auch Swiss Cycling gemeldet hatte, dass er positiv auf Anabolika getestet worden sei. Was nach den geltenden Regeln nicht der Fall ist. Für alle zum Mitschreiben: Es gibt kein positives Resultat einer Doping-Probe von Mathias Flückiger.