Moderne Zwangsarbeit in Taiwans Fahrradfabriken aufgedeckt | Ride MTB

Moderne Zwangsarbeit in Taiwans Fahrradfabriken aufgedeckt

Der dänische Investigativ-Journalist Peter Bengtsen beschreibt schreckliche Zustände in den Produktionsstätten der weltweit größten Bike-Hersteller in Taiwan. Systematische Ausbeutung und Einschüchterung migrantischer Arbeitskräfte stehen dort offenbar auf der Tagesordnung.

Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und ein permanentes Klima der Angst. Das Bild, das Peter Bengtsens jüngster Artikel in der Zeitschrift Le Monde Diplomatique über die Zustände für Migranten in Taiwans Fahrradindustrie zeichnet, passt so gar nicht zum sportlich-coolen Image mit dem sich die großen Bike-Marken gerne selbst schmücken. Doch die Liste der Beschuldigten, die diese Missstände betreffen, liest sich wie das Who-is-who der Branche: Giant, Merida, Trek, Specialized, Centurion, Maxxis und viele mehr. Immerhin 40 Prozent aller in Europa verkaufter Fahrräder stammen aus taiwanesischen Fabriken, schreibt Bengtsen.

Schuldknechtschaft

Der dänische Journalist hat mit seinem Team über Monate in Taichung, der Hauptstadt der Fahrradindustrie in Taiwan, recherchiert. Im Zuge von Interviews mit mehr als 200 migrantischen Beschäftigten in Taiwan, stieß er auch auf Missstände in diesen Fabriken. Die Erzählungen von Dutzenden Arbeitern aus der Fahrradindustrie decken sich hinsichtlich Schuldknechtschaft und viele beschreiben ein Arbeitsumfeld, das in Europa als kriminell bezeichnet werden müsste. Die Gastarbeiter in den Fabriken stammen oft aus ärmeren Nachbarstaaten wie Vietnam, Thailand, Indonesien oder den Philippinen. Schon für die Anwerbung müssen sie in der Regel hohe Gebühren bezahlen und sich verschulden.

Es folgen so genannte Dienstleistungsgebühren, die sie an die Arbeitsvermittler in Taiwan zahlen müssen. Für einen Dreijahresvertrag werden beispielsweise zwei Monatslöhne verlangt. Das ist in Taiwan, als einem der wenigen Länder weltweit, legal, erklärt Bengtsen. Zum Teil würden sogar die Pässe einbehalten, berichteten die Interviewten. Wieder andere erzählten von einbehaltenen Löhnen und harschen Strafen bis hin zu Abschiebungen, bei Verstössen gegen Firmenrichtlinien. Auch von katastrophalen Umständen bei der Unterbringung in Massenquartieren erfuhren Bengtsen und sein Team im Zuge der Interviews.

Hersteller reagieren kaum

All das ist nicht gänzlich neu. Schon im Vorjahr hatte Bengtsen darüber berichtet, dass in den Fahrradfabriken Taiwans Migranten systematisch ausgebeutet werden. Der dänische Journalist konfrontierte einige der weltweit bekanntesten Hersteller mit den Missständen, die er in den Fabriken aufgedeckt hat. Doch die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus, wie er gegenüber Ride erklärt: «Einige, wie Giant, räumten ein, in der Vergangenheit Fehler begangen zu haben und versprachen Verbesserungen. Andere, wie Trek, Specialized oder Centurion haben bis heute nicht reagiert.» 

Giant, der weltweit größte Fahrradhersteller, habe bereits aktiv Maßnahmen gesetzt, was die Zustände bei der Unterbringung von migrantischen Arbeitern und das Einbehalten von Löhnen angehe. Merida, der zweitgrößte Hersteller weltweit und Anteilseigner bei Centurion sowie Specialized, ignorierte die Vorwürfe hingegen komplett und liess über seine Website 2024 lapidar ausrichten, man habe den Verhaltenskodex der Responsible Business Alliance und die einschlägigen Menschenrechts-Richtlinien noch nicht angenommen und daher die Sorgfaltsprüfung für Menschenrechte nicht durchgeführt. Doch selbst die abgegebenen Versprechungen, wie etwa seitens Giant hinsichtlich des Endes von Gebühren für migrantische Arbeiter ab Jänner 2025, sind mit Vorsicht zu geniessen, wie Bengtsen erzählt: «Ich habe erst kürzlich erfahren, dass jene Arbeiter, die 2025 bei Giant begonnen haben, weiterhin Gebühren wie bisher bezahlen mussten. Und man weigert sich bei Giant weiterhin unerbittlich dagegen, den Arbeitern diese Gebühren zurückzuerstatten.»

Bike-Branche muss sich Problemen stellen

Bengtsen attestiert der Fahrrad-Industrie, ihren Investoren aber auch den Kunden mangelndes Bewusstsein für die beschriebenen Zustände. Andere Branchen, wie etwa Schuh- oder Elektronik-Hersteller, die ebenfalls in Asien fertigen lassen, seien in dieser Hinsicht längst viel weiter. Doch in der Bike-Branche wurden diese dunklen Seiten in der Produktion offenbar jahrzehntelang ausgeblendet. Nun sind die Hersteller gefordert, das Ihre zu tun, um die Missstände abzustellen. Aber auch die Konsumenten können ihren Beitrag dazu leisten, indem sie Kaufentscheidungen bewusster fällen und den Herstellern unangenehme Fragen zu ihren Produktionsbedingungen stellen. Der Druck muss wachsen, damit das Schweigen ein Ende hat.

Trotz positiver Reaktionen von Herstellern wie Giant oder Scott, die Fehler eingeräumt und Besserung gelobt haben, gelte es, weiterhin kritisch und vor allem hartnäckig zu bleiben, sagt Bengtsen. Insbesondere gegenüber jenen, die es nicht einmal für nötig erachten, auf die Vorwürfe zu reagieren. Denn sonst bleiben diese Versprechungen blosse Lippenbekenntnisse. Wer seinen Sport wirklich liebt, darf es nicht hinnehmen, dass dafür Menschen ausgebeutet werden.

Link zum aktuellen Artikel von Peter Bengtsen in Le Monde Diplomatique.