Fall Flückiger: Ex-Anti-Doping-Chef fordert Rücktritt der Verantwortlichen
Eigentlich könnte sich Mathias Flückiger auf den Herbst seiner Karriere konzentrieren. Er will schliesslich im August, dann fast 37-jährig, endlich Weltmeister werden.
Doch das Doping-Verfahren, das nie hätte eingeleitet werden dürfen, beschäftigt ihn weiterhin. Er will, dass sein Fall von einer externen Stelle aufgearbeitet wird und die Verantwortlichen für ihre Fehler zur Rechenschaft gezogen werden. Was die Zuständigen alles falsch machten, zeigte Ride in diesem Bericht vom Oktober 2024 auf der Basis des Urteils der Disziplinarkammer des Schweizer Sports.
Und weil die zuständigen Behörden, Swiss Sport Integrity und Swiss Olympic keine Anstalten machen, der Forderung nach Aufarbeitung nachzukommen, schaltet nun ein alter Bekannter einen Gang höher: Matthias Kamber. Er war während 30 Jahren in der Doping-Bekämpfung tätig leitete von 2008 bis 2018 Anti Doping Schweiz. Dann übergab er, damals 63-jährig, an Ernst König, unter dem die Organisation in Swiss Sport Integrity umbenannt wurde.
Kamber hat Flückiger während seines Verfahrens beraten. Nach dem dieses und auch sein Beratungsmandat abgeschlossen war, hat er ein 25 Seiten starkes Dokument mit 51 Verbesserungsvorschläge verfasst, die einen Fall wie jener Flückigers in Zukunft vermeiden sollen. Der «Blick» hat als Erster darüber berichtet. Auch Ride liegt das Papier vor. Es ist anzumerken, dass Kamber auf der Seite Flückigers steht und von diesem bezahlt wurde, wenn auch nicht für diese Abhandlung. Es ist somit kein unabhängiges Gutachten. Kamber war aber während seiner 30 Jahre als Dopingbekämpfer bekannt dafür, Missstände offen anzusprechen und niemanden zu schonen. Schon gar nicht mögliche Doper. Flückiger ist für ihn aber ganz klar keiner. Gelitten hat deshalb nach Ansicht Kambers nicht nur ein unschuldiger Athlet, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Anti-Doping-Systems in der Schweiz.
«Swiss Sport Integrity fehlt es an wissenschaftlicher und juristischer Kompetenz»
Kambers Kritik ist deutlich: «Es ist offensichtlich, dass es SSI [Swiss Sport Integrity] auf operativer Ebene an wissenschaftlicher und teilweise an juristischer Spezialkompetenz fehlt. Bereits die uns zur Verfügung stehenden Dokumente und Mails aus der frühen Zeit des Resultatmanagements zwischen dem 11. Juli 2022 und dem 18. August 2022 [Zeitraum von Proben-Analyse bis zur Veröffentlichung des Reultats] zeigen ein unsicheres, ja geradezu hilfloses Agieren.» Weiter unten schreibt Kamber: «Der Direktor von SSI hat offensichtlich falsche Behauptungen in den Medien gemacht, die Flückiger vorverurteilten.»
Ausserdem sei das Verfahren in verschiedenen Phasen zu lang gegangen, der Athlet sei besonders zu Beginn in Ungewissen gelassen worden, was es ihm verunmöglicht habe, Gründe zu finden, wie das Zeranol in seine Probe gelangt sein könnte.
Geradezu vernichtend urteilt Kamber über das Handeln von SSI und deren Aufsicht, dem Stiftungsrat: «Durch das gesamte Verfahren konnte SSI teilweise mit inkompetenten Schritten handeln, ohne dass eingegriffen wurde. Es muss ein Kontrollmechanismus geschaffen werden (am einfachsten beim Stiftungsrat), der verhindert, dass ein Verfahren derart aus dem Ruder läuft, dass nicht nur der Athlet, sondern auch SSI selber und das Vertrauen des Sports in die Dopingbekämpfung zu Schaden kommen.»
SSI soll Testverantwortung abgegen
Unter Punkt 44 von 51 kommt schliesslich die radikalste Forderung: «Es ist angezeigt, dass der Direktor von SSI öffentlich die gemachten Fehler eingesteht, sich entschuldigt, die finanzielle Gutmachung einleitet, die Verantwortung übernimmt und zurücktritt. Nur so kann das Vertrauen in die Arbeit von SSI wieder aufgebaut werden.» Darin steckt eine weitere Forderung Flückigers, der rund 150'000 Franken dafür ausgegeben hat, sich gegen ein Verfahren zu wehren, das von Anfang an ein Fehler war. Wenigstens dieses Geld will er zurück. Von den entgangenen Preisgeldern während seiner ungerechtfertigten Sperre ist dabei nicht die Rede.
SSI soll nach Ansicht Matthias Kambers gar nicht mehr für die Doping-Bekämpfung der Schweizer Spitzenathletinnen und -athleten zuständig sein, sondern nur noch für Ethikverstösse. Stattdessen schlägt er vor, diese Zuständigkeit auf die International Testing Agency zu übertragen. Diese führt das Labor in Lausanne, das Flückigers regelwidrig entnommene, verwahrte und transportierte Probe analysiert hatte. Dieses Labor nehme bereits für viele internationale Sportverbände die Doping-Kontrollen und das Resultat-Management vor.
Dem «Blick» sagt Kamber zudem, er habe den Eindruck, dass Swiss Sport Integrity einfach wieder einmal eine positive Probe gebraucht habe. «Wieso sonst hätten sie gerade am Vortag von Flückigers EM-Start informiert? Dies ist unethisches Verhalten.» In der Zeitung fordert er neben dem Rücktritt von SSI-Direktor Ernst König auch jenen des Stiftungratspräsidenten Ulrich Kurmann.
Was sagt Swiss Sport Integrity zu den Vorwürfen und Rücktrittsforderungen? Ride hat die Organisation um eine Stellungnahme gebeten. Innert der ersten 24 Stunden nach der Anfrage ist keinerlei Reaktion erfolgt. Sollte sich SSI doch noch zu Wort melden, werden wir die Äusserung nachliefern.