Weltmeisterin stürzt schwer bei Red Bull Hardline – das ist der Grund
Dass Red Bull Hardline Massstäbe setzt, was die Schwierigkeit der Strecke betrifft, hat Kollege Steffen Kanduth an dieser Stelle bereits ausgeführt. Umso eindrucksvoller, dass eine Handvoll Frauen den Kurs in Angriff genommen hat, der besonders mit seinen extrem langen Doubles im letzten Teil der Strecke auch äusserst gefährlich ist.
Zwei Frauen qualifizierten sich für den Full Run am letzten Tag der Veranstaltung, Gracey Hemstreet (CDN) und Erice von Leuven (NZL). Im Abschlusstraining fuhren sie die ganze Strecke und das wurde der 18-jährigen Neuseeländerin zum Verhängnis.
Am Creek Gap, dessen Absprung und Landung 24 Meter auseinander liegen, kam sie zu kurz und krachte in den Landehügel, wurde weggeschleudert und überschlug sich mehrfach. Zuerst habe sie nur über Schmerzen im Handgelenk geklagt, erzählt Fotograf Sven Martin, der den Sturz aus nächster Nähe erlebt hat.
Später zeigt sich, dass viel mehr an der zweifachen Downhill-Weltmeisterin der Juniorinnen kaputt gegangen ist: Sie habe Frakturen an Hals- und Rückenwirbeln sowie mehrere interne Verletzung, darunter eine punktierte Lunge, zählt sie in einem Online-Interview im Spitalbett auf. Nicht zu vergessen das gebrochene Handgelenk. Laut Sven Martin ist sie nach dem Sturz sogar aufgestanden und habe sich von einem Quad in den Zielraum bringen lassen.
Das Creek Gap hatte Erice davor zweimal erfolgreich übersprungen. Wie Sven Martin in einem Video Podcast erklärt, sei es aber etwas anderes, ausschliesslich die grössten Jumps am Ende der Strecke zu springen oder dies zu tun, nachdem man bereits den ganzen oberen Teil der Strecke im Körper hat.
«Die Fahrerinnen und auch einige Fahrer haben sich im Training von einem Motorrad auf den nötigen Speed ziehen lassen, um die grossen Sprünge zu schaffen.» Dank Geschwindigkeitsmessungen hätten sie gewusst, dass 74 km/h nötig waren, um es bis in die Landung zu schaffen. «Hinter dem Motorrad hast du aber Windschatten. Ohne diesen kann es schwierig werden, die Geschwindigkeit zu halten.» Ausserdem hätten die Fahrerinnen und Fahrer die Serie von Shark-Fin-Sprüngen vor dem Creek Gap schon perfekt erwischen müssen, um genug schnell zu sein.
Erice habe ihre Geschwindigkeit im Training ebenfalls mit der Radarpistole messen lassen und sich abwinken lassen, wenn sie zu wenig schnell auf den Absprung zufuhr. Im Abschlusstraining war das nicht der Fall, sie war ein bisschen zu langsam und hatte keine Chance, genug weit zu fliegen. «Ich sah, dass sie nicht schnell genug war und hoffte einfach, dass sie sich irgendwie bis in die Landung reisst», beschreibt Martin im Podcast seine Gedanken unmittelbar vor dem Crash.
Wo Erice van Leuven die entscheidenden km/h verloren hat, oder ob sie überhaupt genug schnell war, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. «Ich bin froh, dass ich noch laufen kann», sagt sie im Spitalbett, eingeklemmtt in eine Orthese, die ihren Kopf und ihre Wirbelsäule fixiert. Sobald ihre Lunge geheilt sei, könne sie von Tasmanien nach Hause fliegen, und sich dort von den weiteren Verletzungen erholen. Ob sie Red Bull Hardline wieder fahren werde, will der Interviewer wissen. Ihre Antwort: «Sicher werde ich das.»
Dem Riesentalent aus Neuseeland wäre ein Comeback zu wünschen, wie es Jackson Goldstone im Rennen hingelegt hat, das ihr zum Verhängnis wurde (und ihm ein Jahr zuvor). Trotzdem ist zu hoffen, dass Erice van Leuven es mit der Risikofreude nicht übertreibt und noch lange das Leben und das Mountainbike geniessen kann.