Blog: Hilfe, das Garantie-System der Bike-Branche ist krank!
1. Akt: Das Display ist defekt
Das E-Bike steckt noch im intakten Transportkarton. Und das Display hängt schon schräg vom Lenker runter. Die Befestigungsschelle ist gebrochen. Es ist also ziemlich klar, dass bei der Montage etwas schief gegangen sein muss.
2. Akt: Der Garantieantrag beim Hersteller
So erstelle ich brav beim Fahrradhersteller im B2B einen Garantieantrag, notabene mit zahlreichen Fotos und weiteren Dokumenten. Vorgeschrieben ist ein Bild des ganzen Fahrrads, eine Foto für die Rahmennummer, ein Bild für das beschädigte Teil und dann noch die Rechnung. Das Zusammenstellen dieser Unterlagen ist Sisyphos-Arbeit und gemessen am Warenwert ein waschechter Verhältnisblödsinn.
3. Akt: Die Bitte um Kulanz
Das Erstellen dieses Garantieantrags macht also bereits viel Spass. Auf diesen erhalte ich von einem Mitarbeiter des Fahrradherstellers eine Antwort: Wir sind nicht mehr zuständig... (Randbemerkung: Vor ein paar Monaten trat der selbe Defekt auf, dann kam von dieser Stelle ein neues Display). Ich solle mich beim Elektroantriebshersteller melden.
Ich möchte das nicht akzeptieren und bitte um eine einfache, kulante Lösung. Diese wird mit zwei knappen Sätzen abgelehnt. Ich frage mich, ob das die richtige Antwort ist, und ob dieser Lieferant der richtige ist und bleibt.
4. Akt: Der Garantieantrag beim Distributor
Da die Kundin immer noch ein funktionierendes Display braucht, um das neue E-Bike in Empfang zu nehmen, geht es munter weiter so. Ich erstelle den Garantieantrag auf der Website des Schweizer Distributors. Dort fülle ich ein Webformular aus, das nach dem vollständigen Ausfüllen ausspuckt: Bitte erstelle einen Garantiefall im Diagnose-Tool.
5. Akt: Das E-Bike an die Diagnose hängen
Meine Freude an diesem fragwürdigen Prozedere steigt weiter an, und ich erstelle einen Service-Fall im Diagnose-Tool. Es ist ja nur ein kleines Dropdown-Formular zum Ausfüllen.
6. Akt: Mails beantworten
Eine automatische genierte Nachricht bestätigt den Eingang des Service-Falls per Mail – worauf später noch eine Nachricht eingeht. Ich solle allerhand Dokumente (siehe 2. Akt) einreichen. Diese Redundanz ist wie ein kurzer Wellness-Urlaub, denke ich mir – nicht. Als ich das erledigt habe (den Bürokram, nicht den Wellness-Urlaub), geht es natürlich weiter:
7. Akt: Noch mehr Fotos einreichen
Der Distributor des E-Bike-Antriebsherstellers ermuntert mich, noch mehr Fotos zu machen. Ein Portrait des Displays, sowie wie ein Bild, auf dem die klitzekleine Seriennummer gut sichtbar ist. Das mache ich natürlich gerne.
8. Akt: Erfolgreicher Garantieantrag
Die Versandbestätigung des Distributors zeigt mir automatisch an: Hurra! Der Garantieantrag ist angenommen und das defekte Teil portofrei unterwegs. Es kann aber auch mal vorkommen, das ein frisches Garantieantragsformular eine Rücksendeetikette ausspuckt, auf der – automatisch generiert natürlich – die falsche Empfängeradresse drauf steht.
9. Akt: Der Shortcut
Diese 8. Akte sind selbstverständlich viel zu umständlich für einen guten Kundenservice. Das Garantie-Display war erst nach x-Werktagen bei uns. Wir verpflichten uns als Betrieb mit zertifizierter Werkstatt: Reparaturen sind wann immer möglich innert 1-2 Werktagen erledigt. Und wenn jemand bei uns ein Neufahrzeug kauft, soll er nicht unnötig lange darauf warten müssen.
Die Lösung: Ich habe nach dem Öffnen des Bike-Kartons ein neues Display bestellt. Das war innerhalb 24 Stunden da und flugs montiert. Die Kundin hatte innert Kürze das neue E-Bike. Das Garantie-Display nehmen wir an Lager.
10. Akt: Wie gehts besser?
Die Bike-Branche sollte sich Lösungen ausdenken, wie Garantieabwicklungen speditiver und kulanter zu machen sind. Würde ich von meiner Kundschaft bei Garantien x-fach Fotos, Dokumente, Online-Anträge in mehrfacher Ausführungen und das redundant und mit weiterer Bürokratie garniert verlangen, ich würde mich schlicht schämen.
Was mir am liebsten wäre: Alle defekten Parts sammeln, und diese ein- oder zweimal jährlich einreichen, oder ein Mitarbeiter des Teile- oder Fahrradherstellers holt diese sogar ab. Und darauf gibt es eine Gutschrift, oder neue Teile, mit ganz wenig Bürokrieg.
Zum Autor:
Tobias Gütlin ist der Branchenfachmann von Ride. Er führt neben seinem Engagement als Journalist einen eigenen Bikeshop in Binningen, und feiert dort aktuell das 20-jährige Jubiläum. Damit bringt Gütlin höchste Sensibilität für Fachhandelsthemen mit. Er schreibt über Produkte, Technologien, Standards und aktuelle Themen, die die Zweirad-Branche bewegen.