Alles Märchen? So episch ist der Alps Epic Trail | Ride MTB

Alles Märchen? So episch ist der Alps Epic Trail

Alps Epic Trail Rauhreif

Hält der Alps Epic Trail, was sein Name verspricht? Die Kommentatoren streiten sich seit Jahren in der Ride Tourendatenbank. Zudem sorgt der Abschnitt durch die Zügenschlucht immer wieder für böses Blut. Ride-Redaktor Stefan Michel will auch mitreden können und hat die Tour deshalb unter die Stollen genommen.

Der Alps Epic Trail ist der Superstar unter den Touren – über 100’000 Mal wurde der Beschrieb in der Ride-Tourendatenbank aufgerufen – keine hat mehr Views. Die Region Davos wirbt seit Jahren mit dieser Tour und das Bild von Martin Bissig (unten) begegnet einem in Publikationen und auch als grossformatiges Poster auf Schritt und Pedaltritt.

Den vollmundigen Namen hat die IMBA der Tour verpasst. 53 Epic Trails gibt es weltweit, vier in Europa, der Alps Epic Trail ist der einzige in den Alpen. Kriterien sind: Sie müssen zu mindestens 90 Prozent aus Singletrails bestehen, sich in natürlicher Umgebung befinden, anspruchsvoll und mindestens 20 Meilen lang sein. «Stunning views and biergartens along the way» lobt die IMBA-Webiste als individuelle Highlights dieser Tour.

In den Kommentaren gibt es aber auch immer wieder kritische Stimmen, die die Route so toll nicht finden, denen der Anteil an Forststrassen zu gross ist oder die Abfahrten nicht lang genug. Zudem gehört die Zügenschlucht zur Tour, die immer wieder wegen Steinschlag und anderer Naturschäden gesperrt war, trotzdem gefahren wurde, was manche Ride anlasteten.

Alps Epic Trail in der Ride Tourendatenbank
 

 

Dieses Bild kennt jeder. Aufstieg von Sertig Dörfli zum Rinerhorn.

Ich komme seit Jahren regelmässig nach Davos und kenne einen nicht kleinen Tell der Trails, die man hier so fährt. Den Alps Epic Trail vom Jakobshorn nach Filisur bin ich hingegen noch nie gefahren. Es ist also an der Zeit.

Es ist Mitte Oktober, ich stehe in der ersten Gondel und zweifle, dass es eine gute Idee ist, so früh hierher zu kommen. Es war nämlich schon in den Tagen davor überall schweinekalt, wo die Sonne nicht direkt drauf schien. Auf dem Jakobshorn ist es sogar in der Sonne frostig. Ein grosser Teil der Strecke liegt um diese Jahreszeit bis Mittag im Schatten.

Hinein in den Tiefkühler also, immerhin rüttelt es schon auf der charakteristischen ersten langen Traverse Richtung Sertigtal ordentlich, was der Durchblutung hilft, die Extremitäten am Leben zu halten. Die Pfützen sind gefroren, die Reifenspuren im Boden steinhart. Nach 15 Minuten Abfahrt ist mein linker Bremsfinger von der eisigen Zugluft narkotisiert. Der ruppige Weg, auf dem man permanent Steinen ausweichen muss oder über diese hinwegrollt, lässt trotzdem Flowgefühl aufkommen. Schwierig ist er nicht, aber wer den Kopf nicht bei der Sache hat, fängt sich garantiert einen Platten.

Als sich der Weg steiler dem Sertigtal zuneigt, erhalten die Biker ihre eigene Spur. Die Frequenz auf der Vorzeigebfahrt hat wohl die Schmerzgrenze der Wander-Gemeinde überstiegen. Das Gleiche gilt für den Singletrail von der Walsersiedlung Sertig Dörfli auf den Äbirügg. Die Bikespur soll zudem bergwärts besser fahrbar sein als der Wanderweg. Das ist sie für Bikerinnen mit potenten Motoren sicher und für besonders ambitionierte Tech-Uphill-Treter ebenfalls. Ich mag mich schon bald nicht mehr die Steilstücke, Rockgardens und Wurzeltreppen hochwuchten. Wichtiger für mich: Mir ist wieder warm. Und zum Glück bin ich für rasanten Gegenverkehr von oben auch noch zu früh unterwegs.

Die goldenen Lerchen suggerieren Wärme. Es ist aber saukalt.

Von der Bergstation Rinerhorn führt die Route in den Singletrail nach Monstein. Wer hier eine Abfahrt erwartet, wird enttäuscht. Über sieben Kilometer bewegt man zwischen 2050 und 1950 Metern über Meer, es ist ein ständiges Auf und Ab, immerhin sind die kurzen Anstiege mehrheitlich fahrbar – und geben warm, denn auch hier ist noch kaum ein Sonnenstrahl eingetroffen, gewisse Abschnitte sind mit Eiskristallen paniert – siehe Titelbild. Daneben leuchten die Lerchen in prächtigsten Herbstgold und immer wieder geht es rechts sehr steil hinunter. «Auf die Talseite hin will man da nicht absteigen müssen», kommentiert ein User. Was er meint: Das wäre stellenweise lebensgefährlich.

Im Weiler Oberalp, von wo ich der Strasse und später wieder einem Singletrail hinunter nach Monstein hätte folgen sollen, nehme ich stattdessen den Wanderweg vie Laubenalp nach Jenisberg – den auch das Mountainbikeland Schweiz als Route 335 vorschlägt und verlängere dadurch das Auf und Ab ungewollt um einige Kilometer. Von Laubenalp fahre ich dann eine Forststrasse ab, die mir bekannt vorkommt. Ich bin sie schon mehrmals auf Skitouren hochgegangen und am Ende runtergefahren.

Nach Monstein geht es eine der kritisierten Waldstrassen hoch und das abschnittsweise ziemlich steil. Dafür verläuft der Singletrail  danach in der Summe doch deutlich mehr hinunter als hinauf. Nach Jenisberg muss ich die Bremsen sogar ein paar Minuten lang dauerhaft betätigen. Eine letzte steile Flanke führt hinab in die Zügenschlucht. Der Weg ist hier teilweise planiert und breiter als die Trailbikerinnen es sich wünschen.

Bei mir hat sich ohnehin längst ein andere Bewusstseinszustand breit gemacht. Diese Tour besteht nicht aus einer Abfolge von Aufstieg und Abfahrt, sondern die beiden Phasen mischen sich über weite Strecken. Zwischendurch frage ich mich, ob ich auf einer Abfahrt bin oder in einem Aufstieg. Ohne Blick auf die Höhenlinien der Karte hätte ich es auf gewissen Abschnitten nicht sagen können. Viel prägender als der Abfahrtsspass ist die Landschaft: diese nicht enden wollende, steile Bergflanke, an der ich entlangrolle.

 

Ein paar Meter in der Sonne, dafür folgt gleich die ungefähr 54. Bachüberquerung – nasse Füsse will bei diesen Temperaturen niemand.

Zum Schluss folgt die Zügenschlucht, die zuletzt im Sommer 2024 wegen Steinschlag gesperrt war – und etliche Male davor schon. Kontrovers ist ihre Befahrung auch deshalb, weil sich an schönen Wochenenden sehr viele Menschen zu Fuss hindurchbewegen, was auf dem schmalen Pfad, an dessen Seite es an einigen Stellen senkrecht in die Tiefe geht, nicht nur für freudige Begegnungen sorgt. An diesem Freitag um die Mittagszeit sind hingegen kaum Wanderer unterwegs und Biker habe ich keinen einzigen angetroffen – aber ich war ja auch der erste, der vor gut drei Stunden die Tour auf dem Jakobshorn in Angriff genommen hat.

Dass die letzten Kilometer fahrtechnisch leichte Kost sind, kommt mir gelegen. Das Hochtreten, Absteigen, Bike über die nächste Stufe Heben, Aufsteigen und Weiterfahren, die Konzentration, die in der oft exponierten Traverse immer hoch bleiben muss und dazu die Kälte, gegen die ich seit Stunden anpedale, all das hat mich geschafft. Zuletzt folgt als Zielbogen der Landwasser-Viadukt, das medial noch erfolgreichere Fotosujet als die Bikerin und der Biker im Sertigtal.

War das jetzt eine epische Tour? Nachdem ich zum Bahnhof Filisur hochpedalt bin, habe ich neben den versprochenen 1900 Tiefenmetern auch 850 Höhenmeter auf dem Zähler, ein paar zusätzliche dank meines Abstechers auf die Laubenalp. Und weil die Route gefühlt nach 20 Metern abwärts, 10 Meter aufwärts führt, sind die rund 38 Kilometer tatsächlich alles andere als ein Singletrail-Spaziergang.

Zielbogen: Wenn du unter dem Landwasserviadukt durch bist, fehlt nur noch der Aufsteig zum Bahnhof Filisur.

Ich würde die Tour eher eindrücklich als episch nennen. Aber Alps Impressive Trail klingt so spannend wie Forest Walk Experience und das würde dieser Route definitiv nicht gerecht. Sofort wieder machen muss ich sie aber auch nicht.

Epilog: Am folgenden Tag bin ich mit Ortskundigen am Fuss des Piz Beverin und am Glaspass unterwegs. Zwei spektakuläre Abfahrten, in denen es diskussionslos und Switchback-reich abwärts geht, auf Trails die mich fahrtechnisch und nicht bloss konzentrationsmässig fordern. Für mich das euphorisierendere Trail-Erlebnis als der Alps Epic Trail.

Alps Epic Trail in der Ride Tourendatenbank


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Alles Wissenswerte zu Davos gibts im Ride-Spotguide für Davos.

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