Illusion Vanlife: Mit Freiheit hat das nichts zu tun!
Die letzten beiden Sommer haben meinen Horizont erweitert, es war mein Einstieg in die Welt der Camper. Ein Sechsmeter-Bus mit Küche, Toilette, Dusche, Bike-Garage und Klimaanlage, das volle Programm. Ich verfolge die Vanlife-Szene seit einigen Jahren und habe als unbefleckter Neuling meine ersten Gehversuche hinter mir. Meine ursprüngliche Erwartung: die grosse Freiheit und die totale Unabhängigkeit, wie sie von der Szene genüsslich proklamiert wird.
Alles ist verboten und die Szene voller Spiesser
Ich stellte dann aber schnell fest: Wildes Camping ist in den Alpen verboten. Faktisch überall. Die Suche nach einem geeigneten Standplatz war nicht selten ein nerviger Spiessroutenlauf zwischen Nachtparkverboten, Strafandrohungen und Verkehrslärm. Die Vision der grossen Freiheit hat sich rassig als Illusion entpuppt. Als Camper ist man entweder frech oder man hat stets ein flaues Gefühl im Bauch. Oder man orientiert sich an den offiziellen Stand- und Campingplätzen. Und da kommt Erkenntnis Nummer zwei: Ich habe noch selten so viele Spiesser angetroffen wie in der Büssli-Szene. Regelmässig wurde ich von Meinesgleichen zurecht gewiesen, weil irgendein Detail nicht ihren Vorstellungen entsprach. Selbst auf Stellplätzen in der freien Natur. Sinnbildlich erinnere ich mich an Vans, um die ein Zaun aufgestellt wurde. Fehlte einzig noch der Gartenzwerg oder der Wackel-Dackel. Die Coolness des Hippie-Bus hat mit der erlebten Realität nichts zu tun.
Die Krux mit der Toilette
Und dann wäre da noch das Thema der Toilette. Die meisten Campervans haben keine, die Notdurft wird hinter dem nächsten Busch verrichtet. Eigentlich eine nicht akzeptable Schweinerei. In meinem Fall war im Campervan eine Hightech-Nasszelle integriert mit elektronischer Spülung und luftdichter Versiegelung. Bloss hat die Verschweissung nicht immer funktioniert, der Sack ist öfters gerissen, mal war kein Wasser mehr im Tank oder ich bin aus Versehen über den vollen Entsorgungssack gefahren. Eine innige Freundschaft zwischen mir und der mobilen Toilette wollte nie richtig aufflammen.
Ich habe aber auch ein ganz grosses Camper-Highlight entdeckt: den Kühlschrank. Dieser eröffnet die tolle Möglichkeit, nach der Tour direkt zum kühlen Bier und zu den Antipasti zu greifen. Und dann auch zur zweiten und zur dritten Flasche, man muss ja nirgends mehr hinfahren. Bis vielleicht der Dorfpolizist um die Ecke kommt und auf das Campingverbot hinweist. Aber dieses Thema hatten wir schon.
Von wegen günstiger…
Und dann wäre da noch das Thema mit dem Geldbeutel. Wer nur schon die Anschaffung eines Campervans in die Waagschale wirft, erkennt auf der anderen Seite gut 500 Nächte im gehobenen Hotelstandard. Mit diesem Kontingent schaffe ich es etwa über die nächsten 15 Jahre. Oder anders gesagt: Wer sparen will, bucht im Hotel.
Summa summarum: Bei meiner Premiere als Camper kam es nicht zur Liebe auf den ersten Blick. Aber ich gebe dieser Beziehung noch eine Chance. Denn es gab viele lustige Momente. Ich habe neben den Spiessern auch originelle und interessante Menschen angetroffen. Und ich habe stets in meiner eigenen Bettwäsche geschlafen. Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Mein Flair für tolle Hotels bleibt indes unverändert. Ein schönes Boutique-Zimmer mit grossem Bad und ein sicherer Fahrrad-Keller mit Steckdose für mein leergefahrenes E-Bike stehen bei mir noch immer oben auf der Bedürfnisliste.