Blog: Muss ich mich schämen, in der Rabatt-Schlacht ein Bike zu kaufen? | Ride MTB

Blog: Muss ich mich schämen, in der Rabatt-Schlacht ein Bike zu kaufen?

Rabatt Mountainbike

Sind 40 Prozent Rabatt der Rettungsring eines Bike-Unternehmens oder ein Nagel in dessen Sarg? Ist es statthaft, von der tobenden Rabattschlacht zu profitieren? Ride-Redaktor Stefan Michel fragt in der Branche nach und erhält klare Antworten.

«Rabatt-Shaming» kommentiert Redaktionskollege Tobi spontan, als ich das Thema anspreche. Das trifft die Frage, die mich umtreibt, ziemlich gut: Müsste ich mich schämen, zu einem der aktuellen Kampfrabatte ein neues Bike zu kaufen? Und etwas sachlicher: Hilft es der Fahrradbranche tatsächlich, wenn sie fabrikneue Bikes mit 40 Prozent Abschlag oder sogar mehr ihren Kunden hinterherwirft? Oder hilft das nur noch, das Elend etwas zu lindern?

Aus dem Hauptquartier von Cube heisst es auf Anfrage von Ride: «Im Einzelhandel gibt es aktuell über alle Marken und Branchen hinweg viele Rabattaktionen. Wir können verstehen, dass, wenn man sich ein neues Produkt kauft, dieses Thema für Verwunderung sorgt.» Sie gäben ihren Händlern Preisempfehlungen ab, hätten aber keinen Einfluss darauf, zu welchem Preis diese ihre Bikes verkauften. «Eigentlich spricht nichts dagegen jetzt ein Fahrrad zukaufen», schliesst das Cube Team aus Waldershof.

Christian Bättig, mit seinem Unternehmen Chris Sports Mountainbike-Importeur seit über 30 Jahren (u. a. Rocky Mountain, Mondraker) packt seine Antwort in noch klarere Worte: «Wenn die Verantwortung für die Rabatte auf den Kunden abgeschoben wird, dann verstehe ich die Welt noch weniger, als ich sie aktuell noch verstehe.» Und auch Walter Schärli von Intercycle (u. a. Wheeler, Bixs) argumentiert grundsätzlich: «Die Wirtschaft basiert auf Angebot und Nachfrage, also braucht niemand ein schlechtes Gewissen zu haben, ein attraktives Angebot anzunehmen.» Mahnend schiebt er nach: «Man sollte aber nur etwas kaufen, wenn man es wirklich braucht.»

Da hat er mich. Eigentlich ist mein Mountainbike immer noch mindestens so gut wie mein Fahrkönnen, auch wenn es seit 2018 mit mir unterwegs ist. Andere hätten sich längst etwas Neues geleistet. Den Zeitpunkt, es zu einem guten Preis weiterverkaufen zu können, habe ich bei weitem verpasst. Es spricht nichts dagegen, drei, vier weitere Saisons damit zu fahren. Zumal ich die kritischsten Teile bereits einmal ersetzt habe. Aber jetzt wäre die Gelegenheit günstig, mich für die nächsten sechs Saisons auszurüsten.

Bättig zieht noch einen anderen Vergleich: «Wäre ich Zimmermann geblieben – mein ursprünglicher Beruf – würde ich vielleicht 5500 Franken im Monat verdienen. Vielleicht wäre meine Frau nicht erwerbstätig, und ich hätte zwei Kinder im Teenageralter, die gerne Velo fahren. Ist es verwerflich, wenn ich beim Discounter Mountainbikes für 600 Franken kaufen?» Er beantwortet die Frage gleich selber: «Nein, das ist es nicht. Ich finde es gut, wenn möglichst viele Velo fahren. Auch wenn es mir lieber wäre, die Leute würden uns zwei Mondraker Bikes abkaufen.»

Schämen muss ich mich zumindest aus Sicht der Branchenprofis also nicht; das nehme ich schon mal dankbar zur Kenntnis. Die andere Frage ist: Helfe ich der Branche, wenn ich sozusagen als Kriegsgewinnler von der Rabattschlacht profitiere? Natürlich sind viele Händler und Importeure heilfroh, ihr Lager leeren zu können, Ballast abzuwerfen und etwas Cash in die Kasse zu bekommen. Darin steckt aber auch eine Gefahr.

Rabatte sind trotzdem ein Problem

«Im Moment machen wir die Branche ein wenig kaputt», urteilt Schärli, «viele Kunden erwarten jetzt so tiefe Preise, bevor sie etwas kaufen.» 40 Prozent Preisabschlag sei zudem sicher mehr als die Marge, die der Handel ursprünglich erzielen wollte. Anders gesagt: Wer 40 Prozent Rabatt gibt, legt wohl drauf. Die Frage sei, ob und wann es gelinge, die Preise wieder auf ein Niveau zu heben, von dem die Händler leben können. Mit ihrer Eigenmarke Bixs würden sie das Rabattspiel nicht mitmachen, erklärt Schärli. «Auch wir haben zu viel Ware, aber wir haben nicht das Doppelte oder Dreifache bestellt. Zudem haben wir eine starke Gruppe im Rücken.» Damit meint er die Hostettler Group, zu der Intercycle gehört. In der Existenz bedroht ist Intercycle definitiv nicht.

Wichtig sei, dass die Händler jetzt reflektierten, was zu der heutigen Situation geführt habe, findet Schärli. «Und sie können auch mit tieferen Margen leben, wenn sie effizienter werden», ist er überzeugt. Letztlich bedeute jedes verkaufte Velo auch Umsatz für die Werkstätten. Bättig ergänzt: «Die Werkstatt-Umsätze zeigen, dass das Velo nach wie vor boomt. Wir müssen einfach wieder zu den normalen Verkaufszahlen zurückfinden.»

Was also können wir tun, um den Post-Covid-Kater der Bikeshops, Importeure, Hersteller zu lindern? Walter Schärli empfiehlt: «Biken, biken, biken und Leute damit anstecken.» Christian Bättig sieht hier die nächste Baustelle: «Zu viele zwischen 14 und 25 Jahren fahren nicht Velo – weil sie nicht gleichzeitig ins Smartphone gucken können.» Das Handy sei der grösste Feind des Velos, ist er überzeugt. Darum habe sein Unternehmen auch Produkte im Sortiment, die Familien Spass beim Velofahren ermöglichen. Wer schon als Kind die Faszination Velo entdeckt, bleibt diesem hoffentlich treu, auch wenn der Bildschirm Freizeit frisst.

Ich fasse zusammen: Die Branche braucht Menschen, die radfahren. Zu welchem Preis sie das tun können, entscheiden jene, die die Produkte verkaufen. Wer sich besonders viele Karmapunkte sichern will, kauft einem Fachhändler ein Bike ohne Rabatt ab. Und gut zu wissen: Die wichtigste Hilfsmassnahme setze ich ohnehin schon um: Radfahren, auf dem Trail, auf der Strasse, in der Stadt und auf dem Land, Je mehr, desto besser.


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